MIT LIEBE UND ENTSCHLOSSENHEIT
hrInhalt:
Ein Mann und eine Frau führen seit zehn Jahren eine liebevolle Beziehung. Zuvor war sie mit dem besten Freund ihres Gefährten liiert. Als der wieder in ihr Leben tritt, dauert es nicht lange, bis die Situation außer Kontrolle zu geraten droht. Mit großem Mut erforscht das intensive Drama die Feinmechanik einer Beziehung. Ein furchtloser, glänzend besetzter und gespielter Film über die Ungewissheiten und Abgründe der Liebe, in dem die taktile Kamera jede Regung der Seele erforscht, und der gesellschaftliche Anspruch, alles in Schwarz und Weiß zu unterteilen, im Strudel brennender Leidenschaften verschwindet.
Was findet man, wenn man die Liebe sucht? Die französische Filmveteranin Claire Denis seziert eine scheinbar glückliche Beziehung, die doch nur Sehnsüchte verbirgt. Großartiges Schauspielkino mit Juliette Binoche und Vincent Lindon.
Eine einfache Geschichte – une histoire simple – scheint dieser Film auf den ersten Blick zu erzählen. Sara (Juliette Binoche), eine Radiomoderatorin, und Jean (Vincent Lindon), ein Ex-Profisportler, leben seit neun Jahren in ihrer Pariser Dachgeschosswohnung glücklich zusammen. Es ist eine Beziehung, wie man sie erst im sogenannten fortgeschrittenen Alter findet: Sara hat, wie man nebenbei erfährt, eine Tochter, die offensichtlich woanders lebt; Jean einen jugendlichen Sohn, der bei der Großmutter aufwächst. Doch nun haben die beiden ihr Glück gefunden: Liebevoll und wertschätzend geht man miteinander um; nicht Routine, sondern Respekt und Aufmerksamkeit bestimmen den Alltag. Bis François (Grégoire Colin) auftaucht. François ist jedoch kein Unbekannter, sondern ein ehemaliger Arbeitskollege von Jean – und pikanterweise der Ex-Freund von Sara, die ihn damals für Jean verlassen hat. Nun möchte François die Partnerschaft mit Jean, der dringend einen Job sucht, wieder aufnehmen. Aber er möchte auch die Gefühle für Sara wieder aufleben lassen, die ,wie er, mit der vergangenen Liebe nie abgeschlossen hat.
„Mit Liebe und Entschlossenheit“ („Avec amour et acharnement“) erzählt also keineswegs eine einfache Geschichte, sondern eine sehr besondere auf ebenso besondere Weise. Claire Denis, eine der angesehensten Filmemacherinnen Frankreichs, betrachtet das sich anbahnende Dreiecksverhältnis nämlich mit psychologischem Realismus: Nicht die Macht der Erotik dominiert den scheinbar unausweichlichen Lauf der Dinge – obwohl die fatale Anziehung natürlich eine große Rolle spielt –, sondern die zunehmende Unsicherheit der Beziehung. „Wenn man jemanden liebt, bleibt immer etwas davon übrig“, meint Sara einmal zu Jean durch die halb geöffnete Schlafzimmertüre, während er, einem Verlierer gleich, wortlos auf dem Bett sitzt. Das ist in diesem Augenblick weder Rechtfertigung noch Entschuldigung, sondern Erklärung. Aber ist das tatsächlich so, oder redet man sich das bloß ein, um die eigene Vergangenheit besser verstehen zu können – und damit sich selbst? Auch hinsichtlich dieser Frage kann „Mit Liebe und Entschlossenheit“ als Fortsetzung von Claire Denis‘ „Meine schöne innere Sonne“ (2017) betrachtet werden, in dem sich ebenfalls Juliette Binoche als alleinstehende Künstlerin auf der Suche nach der sogenannten „wahren“ Liebe befand. Dass man diese selten findet, wenn man sie sucht, sondern bestenfalls, wenn sie einen ereilt, versteht sich von selbst. Die Schutzmasken, die in diesem während der Covid-Pandemie entstandenen Film wiederholt getragen und von Denis souverän in die Erzählung integriert werden, wirken wie eine zusätzliche, buchstäbliche Verkleidung Saras, mit der ihre wahren Gefühle unter der Oberfläche verborgen bleiben: Was im Inneren bewegt, offenbart sich erst unter mehreren Schichten.
Doch weniger als für die Motive, die ihre Figuren antreiben, interessiert sich Denis – und eben das zeichnet diesen Film besonders aus – für deren Reaktionen: Welche Konsequenzen hat eine Zurückweisung? Genügt es zu behaupten, den Versuch eines Kusses abgewehrt zu haben? Oder dass einem jeder neu begonnene Satz, den man nicht zu Ende sprechen konnte, wertvolle Atemluft rauben würde? Als Jean seinen 15-jähriger Sohn, der aus seiner Beziehung mit einer Frau aus Martinique stammt, besucht, wirkt er vielleicht zum ersten Mal, allen Problemen des rebellischen Teenagers zum Trotz, ganz bei sich. Man habe immer die Möglichkeit sich zu entscheiden, erklärt er als Vater dem verstockten Burschen: einen Schulabschluss zu haben oder nicht; den richtigen Weg einzuschlagen oder den falschen. Und plötzlich wird klar, dass er dabei sich selbst meint. Denn wie Sara muss auch er sich, letztlich allein, für einen Weg entscheiden. Weshalb der Song, der einen über dem Abspann aus diesem Film begleitet, mehr ist als nur der perfekt passende englische Verleihtitel. „And all I have it slips right through. And all I have I threw, I threw“, raunen Tindersticks in „Both Sides of the Blade“. Dass am Ende, selbst wenn man sich für den richtigen Weg entschieden haben sollte, alles gut wird – dafür gibt es allerdings keine Gewissheit.
Frankreichs beste Regisseurin Claire Denis führt mit Juliette Binoche und Vincent Lindon das Liebesmelodram zu neuen Höhen: „Mit Liebe und Entschlossenheit“
Claire Denis, die wohl größte Regisseurin im europäischen Kino, besitzt die Lässigkeit der wahren Virtuosin, keine Kraftanstrengung ist sichtbar, aber jede Geste, jeder Ton, jeder Lichtstrahl findet wie von selbst an seinen Platz. Für ihre visuelle Musik sind Dialoge oft erst in zweiter Linie von Bedeutung. Und selbst wenn sie nun in „Mit Liebe und Entschlossenheit“ eine klassische Dreiecksgeschichte erzählt, nach einem glänzenden Drehbuch in Zusammenarbeit mit der Schriftstellerin Christine Angot, beginnt sie erst einmal stumm.
Juliette Binoche und Vincent Lindon begegnen uns als liebendes Paar, zu zweit im Meer. Schauspieler um die sechzig sieht man selten in derart zärtlichen Liebesszenen, jedenfalls zu Beginn einer Geschichte. Aber dies ist kein Best-Ager-Film über das schwer erkämpfte, hoch verdiente Glück in der zweiten Lebenshälfte. Es ist eine Geschichte über den Angriff einer früheren Liebe auf eine gegenwärtige.
Der melancholische Pop der Tindersticks untermalt diese Szene wie eine traurige Vorahnung, sie geht über in die fast jenseitig anmutende Aufnahme einer Metrofahrt, gefilmt durch die Frontscheibe. Es ist ein Bild wie aus der Frühgeschichte des Kinos, die Einfahrt eines Zuges, eine Reise durch die Nacht. Wie oft sieht man Metro-Szenen in Paris-Filmen, doch hier ist es ein metaphysischer Moment, der Übergang von einem existenziellen Zustand in einen anderen.
Wer aus dem Urlaub zurückkommt, betritt seine Wohnung erst einmal wie ein Fremder. Noch immer sind die Szenen stumm, das liebende Paar macht das Beste aus dem Pariser Grau. Gefahr droht der Beziehung, als der Mann mit Namen Jean sich entschließt, seinen früheren besten Freund François wieder in sein Leben zu lassen. Zugleich ist es der frühere Partner seiner Lebensgefährtin Sara. Als sie ihn nach zehn Jahren, die sie nun mit Jean zusammenlebt, aus der Ferne wiedersieht, steigen die unterdrückten Gefühle plötzlich in ihr hoch. Noch immer braucht Juliette Binoche keine Worte, um auch diesen inneren Strudel sichtbar zu machen. Erst in der zweiten Filmhälfte tritt der von Grégoire Colin gespielte François näher in Erscheinung. Bis dahin führt er eine schattenhafte Existenz, als Geist aus der Vergangenheit.
Diese Geschichte über die Verführung einer Frau durch die Vergangenheit und ihre tragischen Folgen für die Gegenwart ist erst in zweiter Linie die Geschichte einer Frau. Claire Denis und Christine Angot verwenden mehr Erzählzeit auf Jean, das Opfer ihrer Untreue. Damit verkehren sie interessanterweise die Geschlechterrollen eines sonst klassischen Melodrams.
Vincent Lindon, der so oft Männer aus der Arbeiterklasse verkörpert, spielt einen ehemaligen Rugby-Star, der wegen Betrügereien im Gefängnis war. Offensichtlich ist es erst die Liebesbeziehung mit Sara, einer Radiomoderatorin, die ihm wieder einen Platz im Leben verschafft hat. Mit François als Geschäftspartner möchte er nun auch zum Sport zurückfinden, als Talentscout. Um seinen fünfzehnjährigen Sohn kümmert sich seine alte Mutter. In einer Nebenhandlung versucht er, ihn von einem Schulabbruch abzubringen, doch in das väterliche Rollenbild ist er nie hineingewachsen. Auch hier kämpft der Sechzigjährige noch um einen Platz im eigenen Leben.
Lindon, der zuletzt dem Cannes-Gewinner „Titane“ zu einer erstaunlichen emotionalen Erdung verhalf, ist wieder in seinem Element. Wenn es um die unterdrückte Gefühlswelt gestandener Männer geht, ist er der Spezialist. Vergeblich kratzt Juliette Binoches Figur immer wieder an seiner Oberfläche. Und dann ist sie es, die, als er der Affäre auf die Schliche kommt, lügt, dass sich die Balken biegen.
Eine beliebte Akteurin in solchen Debatten, die Moral, haben die Filmemacherinnen erst gar nicht besetzt. Und für die böse Macht der Erinnerung wählen sie die schöne Metapher eines Handys voller Chatnachrichten, das unrettbar in eine Badewanne fällt. Wenn es aber keinen Moralismus gibt, dann gibt es auch nicht – wie es am Ende eines schlechteren Films gewesen wäre – die Heilkraft des Verzeihens. Die größte Gefahr für die Gefühle sind nun einmal die Gefühle. Selten hat ein Film die Zerbrechlichkeit des Glücks so wunderbar erfasst.
(aus „Frankfurter Rundschau“)
Details:
Mit: Juliette Binoche, Vincent Lindon, Grégoire Colin
Regie: Claire Denis
Genre: Drama
Länge: 112 Min.
Alterszulassung: Ab 16 Jahre
Land: Frankreich
Erscheinungsjahr: 2023
Spielzeit:
Dienstag, 3. Oktober 18.15 Uhr (Saal 2)