Die Vorlage von Nomadland, Jessica Bruders Sachbuch Nomaden der Arbeit: Überleben in den USA im 21.Jahrhundert von 2017, hat Frances McDormand an Zhao herangetragen. Eine goldrichtige Wahl, denn die in Peking geborene Regisseurin hat bereits in ihren beiden Filmen Songs My Brothers Taught Me und The Rider Sensibilität für die Menschen und Landschaften des amerikanischen Westens gezeigt. Vorurteilsfrei, doch mit forschendem Blick deckte sie die Risse in abgeschiedenen Gemeinschaft auf.
In beiden Arbeiten hat sie ausschließlich mit Laien gedreht, auch in Nomadland spielen die meisten Figuren sich selbst. Sie bilden den dokumentarischen Kern des Films, den Zhao um die fiktive Fern erweitert. Es ist ein abwartender Part für die sonst so tatenlustige McDormand: Mit über 60 eine Newcomerin im Nomadentum, durchläuft sie eine Art Initiation.
Oft hört sie nur zu, wenn sie auf erfahrenere Lohnarbeiter trifft, und bleibt doch eigensinnig, auf Distanz. Aus den Regungen ihres Gesichts liest man die Gefühle heraus, die die Geschichten der anderen bei ihr hinterlassen.
Zhao hält die erzählerischen Zügel lose und läuft nie Gefahr, es nur bei der Abbildung von Miseren zu belassen. Ganz im Gegenteil: Nomadland ist zuallererst ein Film über Selbstbehauptung und Resilienz. Ein geplatzter Reifen, ein zerbrochener Teller – die Dinge werden eben wieder repariert! Mit trockenem Humor kreist der Film um die Umstände des Weiterlebens und deutet nur an, was (oder auch oft: wer) einem genommen wurde.
Ein Einblick in eine Amazon-Packstation ist dann auch nicht dazu da, die Beschäftigungspolitik des Unternehmens zu kritisieren, sondern von einer wichtigen Etappe dieser Arbeitsnomaden zu erzählen. Genauso wenig wird das Bootcamp des Aussteigergurus Bob Wells, der seinen Anhängern die Befreiung von der „Tyrannei des Dollars“ predigt, als utopisches Gegenmodell verklärt. Dass die „Workforce“ zum „Workhorse“ verkommen ist, wie er einmal sagt, stimmt trotzdem. Die Kapitalismuskritik ist in die Figuren eingraviert.
Ihre Routen richten sich vor allem nach Arbeitsaufträgen, das Leben auf Campingplätzen stellt die eigentliche Konstante dar – über eine Million Menschen haben in den USA diese Lebensweise, ob freiwillig oder nicht, gewählt.
Über Ferns Begegnungen mit Gleichgesinnten öffnet sich der Film auch unentwegt ins Existenzielle: oft beiläufig lakonisch, manchmal grundsätzlich, wie in dem Monolog der älteren Swankie, der um Sterblichkeit und erinnerungswürdige Momente kreist.
In Dave (David Strathairn, der einzige andere Schauspieler) trifft Fern auf einen Mann, der ihr zurückhaltend Avancen macht, doch Zhao versteht es, mit diesem Angebot der Spielfilmkonvention auf geschickt verhaltene Art umzugehen. Seine Figur dient letztlich dazu, dazulegen, warum sie sich gegen die Sesshaftigkeit entschieden hat.
Der visuelle Stil von Zhaos Kameramann (und Lebenspartner) Joshua James Richards verleiht dem Geschehen eine poetische Anmutung. Die Landschaften – die Badlands von South Dakota nehmen etwa eine prominente Stelle ein – sind oft in der Magic Hour, im Zwielicht der Dämmerung, gefilmt, was nicht der einzige Hinweis auf die Bilderwelt von Terrence Malick bleibt. „Wir wollten den Eindruck der Zeitlosigkeit erwecken“, sagte Zhao darüber im Interview. „Es ging um Bilder, bei denen man das Gefühl bekommt, dass sie ihre Zeit überleben werden.“
Steine, Berge, selbst ein (ironisch platziertes) Dinosauriermonument erzählen von einer übergeordneten Geschichte, von zyklischen Wiederholungen, selbst die Erinnerung an die Pionierzeit der Siedler ist in den der modernen Nomaden noch präsent. Doch bei Zhao ist die Sehnsucht nach der „last frontier“ zunächst eine Abkehr.
Nomadland folgt einem Weg, der von den Missständen einer Gesellschaft zurück zu einer Freiheit führt, in der die Entfremdung ein steter Begleiter bleibt. Das macht ihn so gegenwärtig. (Dominik Kamalzadeh, 23.5.2021; „Der Standard“)