TENET
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Wie steht es denn mit Ihrem Verständnis von Quantenmechanik, Entropie oder der Fähigkeit Zeit nicht linear zu denken? Um es gleich vorweg zu sagen: Man kann Christopher Nolans neuen Film auch genießen, ohne allzu viel von der Handlung zu verstehen. Man braucht auch nicht unbedingt einen Master in Physik. Wer aber nicht nur auf der – zugegeben beeindruckenden – visuellen Oberfläche von „Tenet“ surfen will, sollte zumindest den Willen haben, sich auf das komplizierte Konstrukt dieses Thrillers einzulassen.
Dabei beginnt der Film eher konventionell: Wir erleben eine Kommandoaktion in einem vollbesetzten Konzerthaus. Hier wirkt allein ein einzelnes, zurück in die Mündung fliegendes Geschoss verstörend. Die sich daran anschließende Folterszene folgt dann wieder den Standardverfahren russischer Mafiaschläger. Dem nur „Protagonist“ genannten CIA-Agenten werden die Zähne gezogen – und zwar reichlich unhygienisch. Doch irgendwie kriegt er die Zyankalikapsel noch geschluckt. Alles nur eine Prüfung natürlich, denn – auch das kennt man – so richtig los geht es erst jetzt: Die Welt muss gerettet werden. Ausgestattet allein mit einem Codewort (ebenjenem “Tenet”), macht sich der von John David Washington gespielte Charakter auf die Suche nach Erklärungen für die scheinbare Aufhebung von Ursache und Wirkung.
Und so jagen wir um den Globus: Ein Einbruch in das Haus einer Waffenhändlerin in Mumbai, Flirts mit einer Kunstexpertin in London, die Infiltration eines Zollfreilagers in Oslo. Auch das: alles klassische Erzählelemente eines Agentenfilms. Und John David Washington, der Sohn von Denzel Washington, macht als Protagonist in jeder Szene und in jedem Outfit wirklich eine gute Figur. Auch das schönste Zitat des Films schlägt in diese Kerbe. Es stammt von dem von Michael Caine gespielten Agentenvater, der seinem Zögling zu einem Anzug-Update rät: „Mit Brooks Brothers kommst du hier nicht weit.“
Nach und nach entfaltet sich jedoch das Bild einer Bedrohung, die so elementar ist, dass sie um jeden Preis abgewendet werden muss: Die Welt wird aus der Zukunft angegriffen. Ermöglicht wird das durch eine Technologie, die es Objekten, aber auch Menschen erlaubt, sich rückwärts durch die Zeit zu bewegen. Damit ist der Zeitreise-Hammer im Film und spätestens ab jetzt fängt es an, kompliziert zu werden. Wie genau funktioniert dieses „Invertieren“? Was passiert, wenn sich jemand rückwärts durch die vorwärts laufende Handlung bewegt? Und – die Mutter aller Zeitreisefragen – was ist, wenn ich als in die Vergangenheit Reisender durch meine Taten die Zukunft beeinflusse?
Das ist, wie gesagt, kognitiv alles nicht leicht zu verarbeiten und auch dem smarten Protagonisten sieht man öfters das Verstehenwollen dieser Ungeheuerlichkeiten an. Aber zum Glück für ihn und die Zuschauer wird ihm ein gewisser Neil zur Seite gestellt. Den spielt Robert Pattinson als einen leicht versoffen wirkenden Typen mit hübsch verbeulten Anzügen. Zudem ist Neil immer ein Stück weit informierter, was die Sache mit der invertierten Zeit angeht. Aber gerade auch deswegen ein wenig sorgloser: Warum zu viel grübeln? Einfach machen. Damit gibt er auch die Handlungsanweisung für eventuell überforderte Zuschauer.
Und auch wenn es nicht immer gleich Klick macht: Die Mechanik der Zeitreise ist einfach unterhaltsam. Am besten beherrscht wird sie natürlich vom Oberbösewicht, dem russischen Oligarchen Andrei Sator, gespielt von Kenneth Branagh. Der benutzt die aus der Zukunft ins Jetzt gebrachten Portale, die wie Drehtüren funktionieren, scheinbar nach Belieben. Erkennbar sind die sich rückwärts durch die Zeit bewegenden Figuren – denn nur das ist möglich: kein beliebiger Sprung in die Vergangenheit, sondern ein mühseliges Zurückreisen – an ihren Sauerstoffmasken. Invertierte Lungen brauchen invertierten Sauerstoff und auch sonst sind die Gesetze der Physik beim Zurückreisen andere. Die Schwerkraft existiert zwar weiterhin, aber auf eine Explosion folgt ein sich wieder zusammensetzendes Gebäude und Verbrennungen führen zu einer Lungenentzündung. Das ist wirklich großartig anzuschauen, besonders die Verfolgungsjagden und Kampfszenen sind – das muss jetzt mal erlaubt sein – ganz großes Kino.
Die Handlung gipfelt schließlich in einem ultimativen Gefecht: Zwei Teams bewegen sich in der eine Stunde dauernden Operation zehn Minuten lang gleichzeitig nebeneinander her – temporale Zange genannt. Der Vorteil: Das sich regulär durch die Zeit bewegende rote Team kann vom invertierten blauen Team gebrieft werden. (Hier erklärt sich auch der Titel des Films: „Tenet“ kann als Palindrom in beide Richtungen gelesen werden und setzt sich so aus zweimal „ten“ zusammen.) Auch der von Elizabeth Debicki gespielten Kunstexpertin und Oligarchenfrau kommt beim großen Finale eine entscheidende Rolle zu. Ihr Einsatz – inklusive eines schönen Kopfsprungs vom Deck einer Superjacht – ist dann wieder ganz klassischer Agentenfilm und wirkt nach so viel Zeitreisespektakel einfach nur sehr beruhigend.
(aus „gq-Magazin.de“)
Details:
Schauspieler: Aaron Taylor-Johnson, Robert Pattinson, Kenneth Branagh, Elizabeth Debicki, John David Washington
Regie: Christopher Nolan
Genre: Action, Drama, Thriller
Länge: 150 Min.
Alterszulassung: Ab 14 Jahre
Land: USA, Großbritannien
Erscheinungsjahr: 2020
Spielzeit: