Amrum 1945. Kurz vor Kriegsende glaubt die dreifache Mutter Hille (Laura Tonke) noch immer fest an den Endsieg. Auch auf Amrum ist das Leben zu der Zeit alles andere als leicht. Ihr zwölfjähriger Sohn Nanning (Jasper Billerbeck) ackert jeden Tag mit seinem besten Freund Hermann (Kian Köppke) auf den Feldern der Bäuerin Tessa (Diane Kruger), während über ihren Köpfen die alliierten Bomber Richtung deutsches Festland fliegen, um den Feind endgültig in die Knie zu zwingen. Wer überleben will, für die Familie sorgen will, muss anpacken – und Nanning tut genau das: Er sammelt nachts im hellen Mondschein Treibholz, jagt Kaninchen in den Dünen und klaut den Wildgänsen ihre Eier. Doch im Dorf bleibt er ein Außenseiter. Als „Zugereister“ aus der Großstadt begegnet man ihm mit Misstrauen, in der Schule wird er verspottet. Zudem hält seine hochschwangere Mutter in Nibelungentreue an dem Führer fest, auch als alle schon längst wissen, dass nichts mehr zu gewinnen ist. Als der Krieg dann wirklich zu Ende geht und die Nachricht von Hitlers Tod durch das Radio auf die Insel gelangt, setzen bei Hille die Wehen ein. Kurz nach der Geburt ihres vierten Kindes versinkt sie in tiefe Traurigkeit und verweigert jedes Essen. Als sie den großen Wunsch nach einem Weißbrot mit Butter und Honig äußert, schöpft Nanning neue Hoffnung. Für ihn steht fest, dass seine Mutter nur dann wieder zu Kräften kommen kann, wenn er ihr diesen Wunsch erfüllt. Doch woher nehmen, wenn man es auf der ganzen Insel nicht einmal stehlen kann? Tauschhandel, Tagesmärsche durchs Watt, Robbenjagd – nichts ist ihm zu viel. Während er Zutat um Zutat sammelt, wird Nanning nicht nur mit der harten Wirklichkeit des Krieges konfrontiert, sondern auch mit einem Familiengeheimnis, das sein Leben für immer verändern wird.
In seinem Roman „Amrum“ erzählt der Hamburger Autorenfilmer Hark Bohm von seiner Kindheit auf der nordfriesischen Insel am Ende des Zweiten Weltkriegs. Sein Freund Fatih Akin hat aus Bohms Erinnerungen einen berührenden Coming-of-Age-Film gemacht.
Ein weißes Brot mit Butter und Honig – nach nichts sehnt sich die Mutter des zwölfjährigen Nanning mehr im Frühjahr 1945. Und doch ist ihr Wunsch schier unerfüllbar, denn auf Amrum gibt es in diesen letzten Kriegstagen fast nichts mehr zu essen. Nanning, der seine Mutter über alles liebt, lässt sich davon nicht entmutigen und arbeitet die nächsten 90 Minuten Filmhandlung einfallsreich an der Beschaffung der kostbaren Zutaten. Als er das Brot endlich servieren kann, ist die Welt um ihn herum eine andere: Hitler ist tot, der Krieg verloren und seine Mutter, die stolze Nationalsozialistin, versinkt in Depressionen.
Es ist eine kleine persönliche Geschichte, die Hark Bohm in seinem Roman „Amrum“ erzählt, angelehnt an seine eigene Kindheit. Regisseur Fatih Akin setzt sie in der Kinoadaption maximal groß in Szene – die Beschaffung des Honigbrotes wird zur persönlichen Heldenreise des Zwölfjährigen, an deren Ende er ein ganzes Stück erwachsener geworden ist. Neugierig folgt Akin seinem Protagonisten auf dessen Streifzügen durch die Natur. Die raue Schönheit Amrums fängt er dabei mit spektakulären Lichtstimmungen ein, die an Gemälde von Caspar David Friedrich erinnern. In die Kitschfalle tritt Akin dabei jedoch nie. Die Idylle birgt stets auch Gefahr, zum Beispiel wenn die Flut schneller als erwartet das Watt überspült und Nanning fast ertrinkt. Akin entwirft ein authentisches Bild des Insellebens bis hin zum friesischen Dialekt Öömrang – im Kino wird er zum Glück mit Untertiteln versehen.
Das Drehbuch von Fatih Akin und Hark Bohm bleibt eng bei Nannings persönlicher Geschichte, verhandelt in dieser aber zugleich die großen deutschen Themen Krieg und Nationalsozialismus. Nannings Eltern sind aus tiefster Überzeugung regimetreu. Der Junge ist hin- und hergerissen zwischen der Liebe zur Mutter und der Solidarität mit den Amrumer Dorfbewohnern, die nichts von Hitler halten. Wie existentiell dieser Konflikt ist, zeigt eine Szene am Abendbrottisch: Nannings Frage, ob der Vater jetzt nach Hause komme, wo der Krieg doch wohl bald vorbei sei, führt dazu, dass seine Mutter eine Bäuerin wegen defätistischer Äußerungen denunziert.
Fatih Akin hat in seinen Filmen schon oft davon erzählt, was es bedeutet, nicht dazuzugehören. In diesem Fall ist es Nanning, der als Bombenflüchtling aus Hamburg in den Augen der anderen sowieso kein vollwertiger Amrumer ist. Durch die Aktion der Mutter wird er erst recht zum Außenseiter auf der Insel. Wie sich das für einen Zwölfjährigen anfühlt, spielt Hauptdarsteller Jasper Billerbeck großartig. Ihm zur Seite steht ein bis in die kleinsten Nebenrollen prominent besetztes Ensemble, unter anderem mit Laura Tonke als Nannings Mutter, Diane Kruger und Detlev Buck als Dorfbewohner. Matthias Schweighöfer erscheint gar nur für einen Zwei-Minuten-Auftritt als Traumerinnerung an einen in die USA emigrierten Onkel.
„Amrum“ ist ein berührender Film über das Aufwachsen in schwierigen Zeiten. Es ist Fatih Akins Liebeserklärung an den Norden und eine noch größere an seinen Mentor und Freund Hark Bohm.
(aus „NDR“)
Schauspieler: Jasper Billerbeck, Laura Tonke, Diane Kruger
Regie: Fatih Akin
Genre: Drama
Dauer: 100 Min
Zulassung: ab 12 Jahre
Land: Deutschland
Erscheinungsdatum: 2025
Montag, 1. Dezember 18.15 Uhr (Saal 2)