Ángela ist gehörlos, Héctor hörend, ein junges Paar, fröhlich und verliebt, um so mehr, als sie ihr erstes Kind erwarten. Ona soll es heißen, ein Mädchen. Doch je näher der Tag der Geburt rückt, desto unruhiger wird Ángela. Wie soll sie sich um Ona kümmern in einer Welt, die nicht für sie gemacht ist? Wird Ona hören wie Héctor oder sein wie sie? Ihre kleine, beschützte Welt, die sich Ángela und Héctor geschaffen haben, bekommt Risse. Sie müssen es noch einmal versuchen. In der Welt, wie sie ist und wie sie sein könnte.
Aufmerksam und ungeschönt, zärtlich und immer auf Augenhöhe mit ihren Protagonist:innen erzählt Autorin und Regisseurin Eva Libertad von der ungeahnten Herausforderung, als gehörlose Frau ein Kind in einer Welt voller Barrieren zu bekommen, von Begegnungen und Missverständnissen, von Liebe und Zerreißproben.
SORDA – DER KLANG DER WELT wurde u.a. mit dem Publikumspreis im Panorama der Berlinale und als Bester Film der Filmfestivals von Málaga, Seattle und Guadalajara ausgezeichnet. Die selbst gehörlose Miriam Garlo als Ángela und Álvaro Cervantes als Héctor gewannen die Schauspielpreise des Filmfestivals Málaga.
Filme über Gehörlose werden von Hörenden gedreht. Da macht „Sorda – Der Klang der Welt“ von der spanischen Regisseurin Eva Libertad keine Ausnahme, zumindest auf den ersten Blick. Dennoch taucht das Drama, das Libertads vielfach ausgezeichneten Kurzfilm „Sorda“ fortspinnt, unvergleichlich tiefer in die Welt der Gehörlosen ein als etwa „Jenseits der Stille“ (1996) von Caroline Link oder „Verstehen Sie die Béliers?“ (2014) von Éric Lartigau. Das hängt mit der gehörlosen Hauptdarstellerin Miriam Garlo zusammen, der Schwester der Regisseurin, die auch auf das Drehbuch Einfluss genommen hat.
Der familiäre Hintergrund macht einen entscheidenden Unterschied in der Geschichte, die von der komplexen Erfahrung erzählt, als gehörlose Mutter ein hörendes Kind zu bekommen. Die fast taube Ángela (Garlo) und ihr hörender Partner Héctor (Álvaro Cervantes) sind ein glückliches Paar, nicht zuletzt weil der liebevolle Héctor die Gebärdensprache erlernt hat. Doch Schwangerschaft, Geburt und Kita bedeuten für die beiden so etwas wie die Vertreibung aus dem Paradies eingespielter Verständigung.
Eine abgeschiedene Badebucht, gleich beim Wasserfall: Ángela hält Héctor zärtlich im Arm und blinzelt in die Sonne. Was sich auf dem Papier wie Kitsch liest, wirkt auf der Leinwand eher wie ein eingespieltes Ritual vertrauter Alltäglichkeit. Die Inszenierung überhöht die Idylle in keinem Moment, die Tonspur registriert nur das Plätschern des Wassers, die Kamera sucht den Blick von Ángela und fühlt sich in ihn ein. Wenn der Hörsinn weitgehend ausfällt, übernimmt das Sehen weit stärker die Funktion der Orientierung. Der Film macht sich das zunutze, indem er die kleinen poetischen Momente am Rande einfängt, etwa das Leuchten der Blätter im sommerlichen Wald oder die Spiegelungen des Wassers an den Felswänden. Es ist nichts, was Kamera und Montage eigens betonen würden, eher eine beiläufig intensivierte Art des Sehens. Ángelas Welt sozusagen.
Der Kosmos des Paars (oder muss man sagen: die Blase?) ist vorerst perfekt. Ángela arbeitet in einer kleinen Töpferei, wo sie sich verständigen kann, indem sie von den Lippen abliest und einzelne Wörter spricht. Manchmal trifft man sich mit befreundeten Paaren und unterhält sich ausschließlich per Gebärdensprache. Während die schwangere Ángela und Héctor liebevoll-verspielt nach einem Namen für das Baby suchen, ahnen sie längst nicht den gesamten Umfang der Herausforderung einer Außenwelt, die auf die besonderen Bedürfnisse von Gehörlosen nicht eingestellt ist, selbst wenn alle sich nach Kräften bemühen. Und sogar wenn diese Welt ideal wäre – es bleibt immer noch Töchterchen Ona, das auf gesprochene Sprache viel neugieriger reagiert als auf Gebärden.
Es zerreißt das Herz, die oft hilflosen Bemühungen Ángelas um die Aufmerksamkeit ihrer Tochter mit zu durchleben. Gerade für sie, die unter der Bevormundung ihrer eigenen (hörenden) Eltern gelitten hat und um nichts so sehr kämpft wie um Wertschätzung und Anerkennung ihrer eigenen Form der Identität, ist die Erfahrung katastrophal, sich zurückgesetzt zu fühlen. Der Film vermeidet auch in solchen Momenten jegliche Betonung oder Verstärkung. Er setzt ganz auf Identifikation, die durch den Blickwinkel der Kamera entsteht. Die Entfremdung Ángelas von ihrem Mann, ihrer Tochter und der Welt zeigt sich in kleinen, leisen Augenblicken. Ganz allmählich und über eine lange Strecke baut der Film Spannung auf. Dabei wird Ángela nicht als Opfer gezeichnet, sondern als ganz normaler Mensch mit Ecken und Kanten, mit Empfindlichkeiten und Widersprüchen. Kurz: als ein Individuum, das durch seine besondere Geschichte geprägt ist. Darstellerin Miriam Garlo spielt sich in der Rolle nicht selbst. Sie eignete sich die Figur, die aus Gesprächen mit unterschiedlichen gehörlosen Müttern entwickelt wurde, wie jeden anderen fiktiven Charakter an. So liest sie beispielsweise selbst nicht von den Lippen ab.
Sehr zum Vorteil des Films haben Eva Libertad und Miriam Garlo die Rolle von Ángelas Partner Héctor nicht als Bösewicht oder Versager angelegt. Der Mann ist eher ein Vorbild im Bemühen, seiner Frau auf Augenhöhe zu begegnen. Er ist zärtlich, äußerst aufmerksam und umsorgend. Das lässt die Spannungen in der Partnerschaft umso tragischer erscheinen, verleiht ihnen die Wucht schuldloser Verstrickung. Überhaupt setzt der Film, der mit Untertiteln und Audiodeskription für eine Begegnung von Gehörlosen und Hörenden im Kinosaal wirbt, nicht auf einfache Antworten. Er nimmt das Publikum quasi bei der Hand, um gemeinsam mit Ángela eine Reise ins Unbekannte zu wagen, ohne Didaktik oder Zeigefinger. Was die Hauptfigur dabei umtreibt, ist natürlich einerseits ihre ganz spezifische Identität. Aber es geht auch um einen Kampf um Anerkennung, der wohl jedem Menschen vertraut ist.
(aus „Kino-Zeit“)
Schauspieler: Miriam Garlo, Álvaro Cervantes, Elena Irureta
Regie: Eva Libertad
Genre: Drama
Dauer: 99 Min
Zulassung: ab 12 Jahre
Land: Spanien
Erscheinungsdatum: 2025
Dienstag, 9. Dezember 20.15 Uhr (Saal 1)
Mittwoch, 10. Dezember 20.15 Uhr (Saal 2)