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Kino Katsdorf

NEBELKIND

Auf den Spuren eines entlaufenen Wolfes begibt sich die Wolfshüterin Hannah nur widerwillig in das tschechische Heimatdorf ihrer Großmutter, nahe der österreichischen Grenze. Hier lebt Hannahs Mutter, die sich mit der versuchten Aufarbeitung der traumatischen Familiengeschichte keine Freunde im Dorf gemacht hat. Auch Hannah kann sich der tabuisierten Vergangenheit nicht länger entziehen. Es wird Zeit, das Schweigen zu durchbrechen.

INHALT:

Enteignung, Vertreibung, Vergewaltigung – das sind die drei großen Themenkomplexe, denen sich die tschechisch-österreichische Regisseurin Tereza Kotyk in ihrem neuen Film widmet. Im Drama „Nebelkind – The End of Silence“ untersucht Kotyk über die Generationen hinweg Traumata am Beispiel einer Familie. Auf mehreren Zeitebenen wird die Geschichte von Hannah, einer jungen Wolfshüterin, ihrer Mutter Miriam und der Großmutter Viktorie erzählt. Die Handlung spielt auf mehreren Ebenen zwischen 1945 und 2022. Nachdem „Nebelkind“ auf zahlreichen Festivals lief und ausgezeichnet wurde, kam der Film nun in die österreichischen Kinos. Unser Redakteur hat dies zum Anlass für ein Interview mit der Regisseurin genommen.

Frau Kotyk, wie ist Ihnen die Idee zum Film „Nebelkind“ gekommen? Warum haben Sie sich mit diesem Thema beschäftigt?

„Die Geschichte hat dezent autobiographische Züge. Meine Urgroßmutter war als österreichische Unternehmerin in Tschechien tätig und hatte dort ein Haus. Anfang der 1990er Jahre erhielt meine Mutter es in der Restitution zurück und renoviert es seitdem. Ich habe mich damals gefragt, was das mit mir und der jungen Generation macht, wenn etwas so Entferntes aus der Vergangenheit wieder zur Familie zurückkehrt und gewissermaßen reintegriert wird. In späterer Folge bin ich auf den Begriff ‚Nebelkind‘ gestoßen. Er war früher vor allem in Deutschland verbreitet und beschreibt die Generation der Kriegsenkel, die unbewusst die Traumata ihrer Großeltern erleben – ohne je selbst den Krieg erlebt zu haben. Ich habe mich gefragt: Was machen wir mit der Vergangenheit? Müssen wir uns vielleicht doch mit ihr beschäftigen? Was hat sie mit uns zu tun?“

Haben Sie das Gefühl, dass sich die junge Generation für das Geschehen während des Zweiten Weltkriegs und danach interessiert? Oder fehlt das Interesse? Hannah, die jüngste Ihrer drei Protagonistinnen, betrachtet das Thema teilweise schon als Schnee von gestern…

„Ich würde es anders ausdrücken und sagen, dass man die Beschäftigung mit diesem Thema der jetzigen Generation vielleicht auch gewissermaßen schmackhaft machen muss. Ich glaube, dieser Film ist sehr aktuell – wir haben 80 Jahre nach Kriegsende und gleichzeitig einen großen Zerfall in Europa. Wir fragen uns, warum die Demokratie so am Ende ist. Ich glaube, wenn wir uns nicht mit der Vergangenheit beschäftigen und aufarbeiten, was damals passiert ist, wird uns das immer wieder einholen. Und gerade der jetzigen Generation täte es schon manchmal gut, sich gewisser Ereignisse bewusst zu sein, um einen neuen Weg einschlagen zu können.“

Zum Aktualitätsbezug gehört auch der Krieg in der Ukraine, der ebenfalls im Film erwähnt wird. Warum war dies Ihnen wichtig?

„Ich habe fast acht Jahre an diesem Film gearbeitet. In den ersten Fassungen war noch der Fall der Mauer oder der Krieg in Ex-Jugoslawien enthalten. Je länger ich aber an dem Film gesessen habe, umso aktueller wollte ich ihn machen. Und dann kam der Krieg in der Ukraine. Enteignung, Vertreibung, Vergewaltigung – all diese Aspekte sind nun wieder da. Und darauf wollte ich hinweisen: Dass wir es als normal nehmen, dass man sich dieser Mittel bemächtigt und dass Kriege stattfinden.“

Ihr Film spielt auf mehreren Zeitebenen – vor allem 1945, zum Ende des Zweiten Weltkriegs, dann 1992, als das Haus der Familie restituiert wird, und auch 2022. Wann war Ihnen klar, dass Sie mehrere Ebenen brauchen und nicht ausschließlich eine zeitgenössische oder nur eine historische Geschichte erzählen können?

„Das wusste ich eigentlich von Anfang an. Natürlich war das die größte Herausforderung, es kam häufig das Feedback, dass es nur eine Held*innenreise geben sollte, wenn eine Geschichte verständlich sein solle. Mich haben ja aber nicht nur Fakten interessiert, wie der Zweite Weltkrieg, der Fall der Mauer oder eine Restitution. Mir ging es um die Effekte, die so ein Faktum in der nächsten Generation auslöst. Oder warum es beispielsweise die dritte Generation nicht mehr interessiert, die Menschen aber Albträume haben und nicht wissen, woher sie kommen. Diese Verlinkung der Generationen stand für mich im Zentrum, und deshalb war ich von dieser Gleichzeitigkeit der drei Geschichten abhängig.“

In den jeweiligen drei Generationen gibt es starke weibliche Hauptdarstellerinnen. Der Film ist dabei sowohl mit deutsch- als auch mit tschechischsprachigen Schauspielern besetzt. Wie sind Sie beim Casting vorgegangen, was war Ihnen wichtig?

„Tatsächlich die Authentizität. Für die mittlere Generation der Mutter, die Miriam, wollte ich mit einer starken tschechischen Persönlichkeit arbeiten, die das auch verkörpern kann. Die Generation der Großmutter hat damals ganz authentisch Österreichisch gesprochen. Also wollte ich diese Rolle mit jemandem besetzen, der dies sprechen kann, genauso wie bei der Vertreterin der jetzigen Generation. Wir beschäftigen uns oft aus der Perspektive der Männer mit der Vergangenheit. Wir machen die Geschichte an Kriegen, Uniformen, Soldaten und Führern fest. Aber wir sind ja nicht hier, weil Männer in den Krieg gezogen sind, sondern weil Frauen überlebt und für die Gesellschaft gesorgt haben. Deswegen ist mir diese Frauenperspektive so wichtig gewesen. Denn wenn wir diesem Blick mehr Raum geben würden, hätten wir heute viel mehr Verständnis für Gleichstellung und Diversität, und damit wäre auch unser demokratisches Verständnis viel stärker.“

Die Schauspieler wechseln manchmal die Sprache. Sie selbst haben auch das Drehbuch geschrieben. Wie haben Sie festgelegt, welcher Satz auf Tschechisch oder auf Deutsch gesagt wird?

„Ich bin das kurz vor Drehbeginn noch einmal sehr konkret mit den Schauspieler*innen durchgegangen. Ich habe dabei versucht, herauszuarbeiten, wann sich der Charakter seiner eigenen Identität am nächsten ist und das nach außen kehrt.“

Der Film spielt größtenteils im tschechisch-österreichischen Grenzgebiet. Wo genau haben Sie gedreht? Und warum gerade dort?

„Das war wirklich ein Glücksfall. Wir haben uns – ausgehend von einem Wolfsgehege in Niederösterreich – Orte jenseits der Grenze angesehen und sind dabei auf Jaroslavice in Südmähren gestoßen. Das ist eine kleine Stadt, geprägt von einem sehr großen Schloss am Hügel und sowohl von Tschechien als auch von Österreich. Das spiegelt sich in Inschriften, Gräbern oder dem Mobiliar wider. Das war die Initialzündung dafür, direkt an der Grenze zu drehen. Wir haben dort alles vorgefunden, und meine Production Designer waren sehr beglückt. Denn natürlich waren sie sehr gefordert, so viele Zeiten in so kurzer Zeit abzubilden. In Jaroslavice aber konnte man die 1940er Jahre genauso drehen wie die kommunistischen Zeiten und die Gegenwart.“

Haben Sie im Zuge der Arbeit am Film vor Ort Gespräche mit den Menschen geführt oder das Grenzgebiet noch einmal mit einem anderen Blick bereist?

„Ja, und uns haben die Orte mit ihrer Magie der Zweisprachigkeit empfangen. Einiges, was wir dort vorgefunden haben, hat sich so dann auch direkt im Drehbuch wiedergespiegelt. Den Garten von Viktorie etwa haben wir genauso vor Ort gefunden und nicht verändert. Die Besitzerin hat uns erzählt, dass sie schon seit sehr langer Zeit im Ort wohnt und dass ihr Mann auch im Schloss stationiert war.“

Ihr Film ist sehr bewegend und kann einen auch mit Wut zurücklassen. Welche Reaktionen gab es bisher vom tschechischen Publikum?

„Es waren sehr aufmerksame Zuschauer, die ich erlebt habe. Sie haben das Drehbuch, die Geschichte dahinter verstanden, und es gab auch Worte der Anerkennung. Das war für mich sehr berührend.“

(Ferdinand Hauser in „Radio Prag International“)

 

DETAILS:

Schauspieler: Jeanne Werner, Susanne Michel, Anton von Lucke
Regie: Tereza Kotyk
Genre: Drama
Dauer: 90 Min
Zulassung:  ab 14 Jahre
Land: Österreich, Tschechien
Erscheinungsdatum: 2025

 

SPIELZEIT:

Freitag,             16. Mai              20.15 Uhr  (Saal 2)
Mittwoch,        21. Mai               18.15 Uhr  (Saal 2)